Daiva ist litauisch und heißt guter Geist. Und das ist sie auch. Unsere Reiseleiterin ist klein, flink, humorvoll, mit munteren Äuglein und herzerfrischendem Lachen. Und von unsagbarer Geduld. Straßenbahnfahren in Warschau. Oh ha! 27 Personen wollen nacheinander ihr Ticket lösen. Am Automaten in der Straßenbahn. Bis das Dank Daivas Dolmetscherqualitäten endlich erledigt ist, sind wir auch schon da. In der City der 1,7 Mio. Einwohnerstadt. Mit ihrer vielfältigen Architektur, die geprägt ist von gotischen Kirchen, klassizistischen Palästen bis zu Häuserblocks aus der Sowjetzeit und modernen Wolkenkratzern. Einer davon ist der Kultur- und Wissenschaftspalast unweit der Altstadt. Erbaut in den 1950-er Jahren vom damaligen sowjetischen Diktator Josef Stalin. 237 Meter hoch und damit zweithöchstes Gebäude in Polen, das in seinen rund 3000 Räumen, Büros, Hochschulen und Theater beherbergt. Davor jede Menge Straßenmusik und Straßenkunst. In einem einheimischen Restaurant genieße ich Polens Nationalspeise Piroggen mit Spinat und Fetakäse und fahre am frühen Abend mit der Straßenbahn allein zurück ins Hotel - in Vorfreude auf den kommenden Tag, an dem unsere Reise durch Polen und das Baltikum offiziell beginnt.
Die startet am Morgen gleich mit einer Stadtrundfahrt. Und einem Rückblick: Vor dem Zweiten Weltkrieg, so erzählt uns Daiva, war Polen die Heimat der größten jüdischen Gemeinde in Europa. Die meisten polnischen Juden lebten in den Städten. Und Warschau war das Zentrum des jüdischen, sozialen, kulturellen, politischen und religiösen Lebens. 1939 - vor dem deutschen Überfall auf Polen - lebten fast 370.000 Juden in der polnischen Hauptstadt - 30 Prozent der Gesamtbevölkerung der Stadt.
Das Warschauer Ghetto mit einer Größe von 300 HA sollte das größte aller jüdischen Ghettos im von den Nazis besetzten Europa werden. Zwischen 1940 bis 1943 wurden 140.000 Polen gegen rund 500.000 Juden hierher umgesiedelt. Die Ghettobewohner in Vernichtungslager geschickt, die meisten von ihnen nach Treblinka.
Zurückversetzt in die Zeit der 1920-er Jahre
Im Zentrum Warschaus, das nach dem Zweiten Weltkrieg komplett zerstört war, liegt der Marktplatz mit seinen pastellfarbenen Häusern und vielen Cafés. Die Statue der Warschauer Seejungfer in seiner Mitte ist das Symbol der Stadt. Hier steht Jan, der Leierkastenmann. Spielt, singt und versetzt den Zuschauer auch optisch für einen Moment in die Zeit der 1920-er Jahre – mit seinem Hut, seinem langen Mantel und der Nickelbrille.
Auch der Lazienski Park zeigt sich bei strahlender Sonne als beliebter Platz zum Verweilen. Wir stehen vor dem 1926 aufgestellte Chopin Denkmal im Rosengarten. Fryderyk Franciszek Chopin (französisch Frédéric François Chopin), der 1810 in Warschau geborene und 1849 in Paris verstorbene Komponist, Pianist und Klavierpädagoge, erhielt seine musikalische Ausbildung in Warschau, wo er auch seine ersten Stücke komponierte. Die ersten 20 Jahre seines Lebens verbrachte er in Polen, das er am 2. November 1830 aus beruflichen und politischen Gründen verließ. Ab Oktober 1831 bis zu seinem Tod lebte Chopin überwiegend in Frankreich. Sein Leben war geprägt von Krankheit. Zuletzt war er mittellos und auf die Hilfe von Freunden angewiesen. Chopin starb im Alter von 39 Jahren, höchstwahrscheinlich an einer (Herzbeutelentzündung) als Folge einer Tuberkulose.
Thorn - das kulinarische Herz des Pfefferkuchens
Weiter geht es nach Thorn, einer jungen, lebendigen Stadt mit vielen Studenten und dem berühmten Thorner Pfefferkuchen. Diese würzigen und süßen Lebkuchen sind bekannt für ihre reiche Mischung aus Gewürzen und Honig und werden oft mit Marmelade gefüllt und mit Schokolade überzogengenossn.
Thorn ist auch die Geburtsstadt von Nikolaus Kopernikus (1473 bis 1543) - polnischer Astronom und Universalgelehrter, der das heliozentrische Weltbild begründete. Er stellte darin die Sonne in die Mitte unseres Sonnensystems, um die sich die Planeten drehen.
Sonnenschein erwartet uns im Seebad Sopot. Einer der Pioniere des Seebads ist der aus dem Elsass stammende Arzt Johann Georg Haffner (1775 - 1830). Sein Motto: „Wasser macht gesund“! Damit machte er das Sopoter Solewasser berühmt. Die Solequelle sprudelt noch heute.
Polnische Piroggen - der Ursprung liegt in China
Auf der Weiterfahrt nach Danzig macht uns Daiva vertraut mit der polnischen Gastfreundschaft. Der Gast im Haus ist Gott im Haus. Und alles auf dem Esstisch ist selbstgemacht. Wie die bereits erwähnten Piroggen, nicht nur polnische Nationalspeise, sondern auch in vielen anderen Ländern Osteuropas verbreitet. Ihren Ursprung sollen die Piroggen allerdings in China haben, von wo aus sie im 13. Jahrhundert ihren Weg nach Europa fanden. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden sie auch als Geschenke bei Festen und Feiern verwendet. In dieser Zeit entstanden ebenfalls die ersten Piroggenläden sowie Handelsrouten, die sich auf den Verkauf von Piroggen spezialisierten. Heute gibt es eine unendliche Vielfalt an Piroggenfüllungen, sowohl herzhaft als auch süß. Die herzhaften Füllungen für Piroggen variieren von Fleisch, Kraut und Pilze, Kartoffeln und Zwiebeln bis hin zu cremigen Kartoffeln und Käse, während die süßen Füllungen oft aus Früchten, Quark oder Mohn bestehen.
Wir erreichen Danzig, die 580.000-Einwohner-Stadt an der Ostseeküste Polens. In der Mitte der Stadt, auch sie wurde nach dem 2. Weltkrieg komplett wieder aufgebaut, stehen die farbenfrohen Häuser des Langen Marktes, in denen heute Läden und Restaurants untergebracht sind. In der Nähe entfdecken wir den Neptunbrunnen, ein Symbol der Stadt aus dem 17. Jahrhundert mit einer Bronzestatue des Meeresgottes. Hier findet sich auch das Zentrum des weltweiten Bernsteinhandels.
Weiterfahrt zur Marienburg, einer im 13. Jahrhundert erbaute mittelalterliche Ordensburg des Deutschen Ordens an der Nogat, einem Mündungsarm der Weichsel. Die weiträumige Anlage gilt mit 21 Hektar Gesamt- und 14,3 Hektar Nutzfläche als größte Burg der Welt vor der Prager Burg auf dem Hradschin. Sie ist der größte Backsteinbau Europas; mit ihrer architektonischen Gestaltung im Stil der Backsteingotik wurde sie zum Vorbild vieler anderer Bauten, z. B. der Marineschule Mürwik in Flensburg. Das UNESCO-Weltkulturerbe beherbergt mehrere Ausstellungen und kann das ganze Jahr über besichtigt werden.
Die Masuren - so fühlt sich Glück an!
Am Abend erreichen wir Masuren, das Land der 1.000 Seen. Masuren ist ein beliebtes Urlaubsziel im Nordosten von Polen. Die Region liegt an der „Masurischen Seenplatte” und besticht vor allem durch ihre nahezu unberührte Natur. 3.000 Seen, kleine Flüsse und Kanäle, riesige Wälder sowie eine unvergleichbare Tier- und Pflanzenwelt prägen die rund 10.000 Quadratkilometer große, dünn besiedelte Landschaft der Masuren. Die Gesamtregion Ermland-Masuren mit ihrer Hauptstadt Olsztyn (Alleinstein) ist 25.000 Quadratkilometer groß. Ich stehe auf der Terrasse meines Hotels, blicke hinein in den Sonnenuntergang und denke für einen Moment: "So fühlt sich Glück an."
Weiter geht es durch das masurische Lyck, dem Geburtsort des Schriftstellers Siegfried Lenz ('So zärtlich war Suleyken'), weiter nach Litauen. Die ehemalige Sowjetrepublik mit ihren 2,6 Mio. Einwohnern grenzt an Polen, Lettland und Weißrussland und ist die südlichste der drei europäischen Baltikumsstaaten. Die Hauptstadt Vilnius besticht mit ihrer mittelalterlichen Altstadt im Stil von Gotik, Renaissance und Barock. Christliches Zentrum ist die St. Stanislaus Kathedrale aus dem 18. Jh., errichtet am Standort eines ehemaligen heidnischen Tempels.
Litauen war die erste Sowjetrepublik, die sich 1991 für unabhängig erklärte. Um das rückgängig zu machen, ließ der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow am 13. Januar 1991 mit Spezialeinheiten Vilnius überfallen. Die „Blutnacht von Vilnius“ ist in die Geschichte eingegangen. Aktuelle Bilder von dem Aufstand der Balten und dem Versuch der Niederschlagung zu senden, gelang damals nur einem einzigen Fernsehteam, dem des ARD-Korrespondenten Gerd Ruge. Elf Jahre später wird Ruge in Litauen „für besondere journalistische Verdienste“ geehrt. Der damals 73-Jährige erhält in Vilnius von Staatspräsident Valdas Adamkus den Gediminas-Orden - eine der höchsten Auszeichnungen des baltischen Staates.
Von Buchweizenhonig bis Zeppelinas
Wir rollen weiter nach Klaipeda, dem früheren Memel. Heute ist Frühlingsanfang! Die richtige Jahreszeit für Zeppelinas - Kartoffelklöße in Form von Luftschiffen, gefüllt mit Fleisch, Quark und Schinkenspecksauce. . Beliebt auch ist die Rote-Beete-Suppe Salitbartschai mit Sauermilich und Joghurt, Dill, Gurke. Lauch, hartgekochtes Ei als Kaltschale. Sier wird auch gern gerade jetzt zum Frühlingsanfang gegessen, serviert mit warmen Salzkartoffeln. Da gesamte Jahr über beliebt ist der Buchweizenhonig! "Einen Löffel auf nüchternen Magen und man bleibt gesund und wird 100! Den Rest macht der Glaube", sagt Daiva und lacht.
In Klaipeda geht es am nächsen Morgen mit der Fähre hinüber auf die Kurische Nehrung - einst sowjetisches Sperrgebiet, heute UNESCO Weltnaturerbe. Der schmale Landstreifen trennt die Ostsee und das Kurische Haff voneinander und bildet auf kleinem Raum eine außergewöhnliche, ganz unterschiedliche Landschaft. Weite Sandstrände, imposante Dünen und stille Wälder ziehen sich auf der zum Nationalpark erklärten Nehrung entlang. Von den 98 km der Halbinsel zählen etwa 46 km zu Russland und die restlichen 52 km zu Litauen. Wir fahren auf der Militärstraße aus den 1950-er Jahren 43 km weiter Richtung Nida. Vorbei an dichten Wäldern, in denen, so erfahren wir, 200 Wildschweine, 52 Elche und 6.500 Kormoran leben. Mit einem Ausflugsschiff passieren wir die nach Archajon zweithöchste Wanderdüne Europas.
Drei Sommer verbrachte Thomas Mann auf der Kurischen Nehrung ...
Nun kommen wir zu meinem persönlichen Highlight der Reise: dem Sommerhaus von Thomas Mann. Der deutsche Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger kam 1929 nach Königsberg. Er war von der Goethe-Gesellschaft der Stadt eingeladen worden. Nach den Lesungen in Königsberg reiste er mit seiner Familie weiter nach Rauschen (heute Svetlogorsk), um sich dort zu erholen. Im beliebten Kurort erhielt er ein Angebot von Freunden, mit einem Dampfboot die Kurische Nehrung zu besuchen. Er verbrachte einige Tage in Nida. Dieser Ort beeindruckte ihn so sehr, dass er beschloss, sich hier ein Sommerhaus bauen zu lassen.
... und kehrte danach nie wieder zurück
Drei Sommer (1930 - 1932) verbrachte der Schriftsteller mit seiner Familie in Nida. Hier hielt er sich an seine gewöhnliche Tagesordnung, setzte die Arbeit an der Tetralogie Joseph und seine Brüder fort, verfasste den Essay Mein Sommerhaus und schrieb verschiedene Artikel, Briefe an Redaktionen und Verlage, Übersetzer und Freunde. Im Jahre 1933 waren Thomas Mann und seine Familie durch die Nationalsozalisten gezwungen, Deutschland zu verlassen. Auch nach Nida kehrten sie nie wieder zurück.
Riga hat die größte Jugendstildichte weltweit
Weiterfahrt nach Riga. Die Hauptstadt Lettlands, sie liegt an der Mündung der Düna in die Ostsee, gilt als kulturelles Zentrum und hat viele Museen und Konzertsäle. Und ist bekannt für ihre Gebäude aus Holz, die Jugendstilarchitektur und ihre mittelalterliche Altstadt. Mit 800 Gebäuden hat Riga die größte Jugenstildichte weltweit. Seit 1997 zählt die Neustadt von Riga zusammen mit der Altstadt zum UNESCO-Weltkulturerbe. Im Jugendstilcafé Sienna gönne ich mir ein Himbeertörtchen. Den Tee genieße ich aus feinem Porzellan, bemalt mit kobaltblauem Netzmuster und Gold. Es entstammt der Lomonosov Porzellanmanufaktur St. Petersburg, die zu den ältesten Europas gehört. Sie wurde von der Zarin Elizabeth, Tochter von Peter dem Großen, 1744 gegründet und spiegelt alle historischen Epochen der europäischen und russischen Porzellangeschichte wieder. Das Geschirr erinnert mich an mein Zuhause. Denn auch dort genießen wir unseren Tee und Kaffee aus diesem Porzellan...
Ankunft in Estland, dem kleinsten der drei baltischen Länder. Seine Hauptstadt Tallinn liegt an der Ostsee und ist das kulturelle Zentrum des Landes. Bekannt sind vor allem die von einer Stadtmauer umschlossene, kopfsteingepflasterte Altstadt mit zahlreichen Cafés und Geschäften sowie der Verteidigungsturm Kiek in de Kök aus dem 15. Jh. Der historische Rathausplatz Tallinns wird vom gotischen Rathaus mit einem 64 m hohen Turm dominiert. Neben der historischen Altstadt bietet Tallinn auch moderne Architektur. Das Rotermann-Viertel gehört dazu. Dieses ehemalige Industriegebiet wurde zu einem trendigen Stadtviertel umgewandelt und ist bekannt für seine innovativen Gebäude und urbanen Räume.
Elchsalamie aus Estland - ein kulinarisches Träumchen für die Lieben Zuhause
Dort treffen alte Backsteinbauten auf moderne Architektur und schaffen eine faszinierende Mischung aus Alt und Neu. Hier trinke ich noch einen Kaffee und kaufe danach im Supermarkt Elchsalami für meine Lieben Zuhause. Die Herstellung, so lese ich nach, erfolgt nach alter Salami-Tradition. Das etwas gröber gehackte Fleisch wird mit einer feinen Rezeptur von Gewürzen und Kräutern gemischt und anschließend unter speziellen klimatischen Bedingungen luftgetrocknet. Danach wird die Salami sorgfältig über Buchenholz kaltgeräuchert und erhält dadurch ihre besondere, rauchige Note. Das Ergebnis ist eine kräftig gewürzte Wildsalami mit dezenten Wacholderaromen.
Die packe ich am nächsten Morgen vor der Rückfreise nach Hamburg mit in meinen Koffer. Mit ihr jede Menge wunderbare Momente aus dem nördlichen Osteuropa. Momente, die jeden meiner Sinne auf unterschiedliche Weise berührt haben. Auch Dank Reiseleiterin Daiva, unserem guten Geist...