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"Ich habe das Abenteuer-Gen in mir."

Sagt Reisejournalistin Dagmar Gehm. Mit ihr habe ich u.a. über Krieg und Kuhdunghütten, Trost und Toleranz und Hustenanfälle beim Maharadscha von Jodhpur gesprochen.

                                                                                                                                               Fotos (2): Gehm

Dagmar, was ist das Spannende am Reisejournalismus?

Hinter die Kulissen zu schauen, ein Land oder ein Zielgebiet immer wieder unter neuen Vorzeichen kennenzulernen. Und zu helfen, Vorurteile abzubauen - auch in Zeiten von Krieg und Krisen.

 

In welchen Gebieten von Krieg und Krisen bist du bereits gewesen?

Im Jugoslawienkrieg habe ich mitgeholfen, Spenden zu sammeln und durch meinen Presse-Aufruf zwei Ambulanzwagen nach Tuzla schicken zu können. Mit dem Schiff des Internationalen Roten Kreuzes war ich unterwegs, als auf der Jaffna-Halbinsel im Norden Sri Lankas der Bürgerkrieg tobte. Wir sind über Seeminen gefahren, mit schwerkranken und sterbenden Menschen an Bord. Die Kranken wurden mit dem Schiff nach Colombo ins Hospital und wieder zurück nach Jaffna gebracht. Manche auch nur, damit sie zuhause sterben konnten. Doch einige überlebten die raue Heimfahrt nicht. Die Witwen der Männer, die auf dem Schiff starben, durfte der anwesende Priester aus Glaubensgründen nicht in den Arm nehmen. Also hat er mich zu ihnen geschickt, um sie zu trösten. Das ging mir sehr nah, vielleicht zu nah.

 

Du setzt dich so auf deinen Reportage-Reisen großen Gefahren aus.

Ja, doch dadurch kann ich auf die Situation in den Ländern aufmerksam machen.

 

Wie mutig bist du?

Ziemlich mutig, ich habe wohl das Abenteuer-Gen in mir. Und brauche immer wieder die Herausforderung, um mich weiterzuentwickeln. Auch abends ziehe ich unterwegs gern allein los, um die unterschiedlichen Stimmungen zu spüren. Ich habe einen sehr guten Instinkt. In Gefahrensituationen trete ich selbstsicher auf.

 

Gibt es ein Land, in das du nicht reisen würdest?

Nein. Warum soll der Bewohner eines Landes, dessen politische Führungsspitze nicht integer ist, darunter leiden, dass ihn niemand mehr besucht und über die Situation vor Ort berichtet?

 

In welches Land möchtest du unbedingt reisen?

Ich war noch nie in Papua-Neuguinea. Da möchte ich gern mal hin, um die verbliebene authentische Kultur kennenzulernen.

                                Nach der Perestroika heuerste Dagmar Gehm auf dem Segelschulschiff MIR an.

Erzähl uns von spannenden Momenten in deinem Leben.

Gleich nach Perestroika habe ich auf dem russischen Segelschulschiffen MIR angeheuert. Mit den Kadetten – damals nur Jungs - habe ich als einzige Frau die 49,5 m hohen Rahen geentert, Tag- und Nachtwache geschoben und auf einem Schiff, das „Frieden“ heißt, bei gemeinsamer Arbeit Einblick bekommen in die russische Seemannsseele.

 

In Kenia habe ich für eine Reportage über die Massai-Krieger mal eine Zeitlang mit sieben Frauen und sechs Ziegen in einer Kuhdunghütte gelebt. Sie war mit Dornenhecken gegen die herumstreunenden Löwen geschützt. In Australien durfte ich bei den Aborigines und in Neuseeland bei den Maoris wohnen.

 

Jedes Jahr im Juni werden rund 2.000 Schafe von Südtirol in Italien über den 3.000 Meter hohen Similaungletscher nach Tirol in Österreich geführt. Seit 19 Jahren ziehe ich im September als Hilfshirtin mit ihnen zurück nach Südtirol. Dann bin ich zehn Tage im Einsatz, um die Schafe zusammenzutreiben und einen Tag unterwegs, um sie über den Gletscher zu bringen. Ein unglaubliches Naturspektakel!

 

2015 bin ich für eine Reportage als Sozia mit 17 Harley-Davidson-Fahrern rund 3.300 Kilometer durch China gereist. So eine Harley-Tour hat es vorher noch nie gegeben. In den Serpentinen musste ich freihändig fotografieren. Das grenzte schon ein wenig an Überlebenstraining. Die Reise hat mich bewogen, 2017 meinen Motorradführerschein zu machen.

 

Und 2018 war ich für eine große Nachrichtenagentur in Palästina unterwegs, wo ich mir von Tourismusstudenten ihre jeweilige Heimatregion zeigen ließ.

 

Bist du beim Eintauchen in andere Kulturen auch schon mal in ein Fettnäpfchen getreten?

Aber sicher! In Malaysia war ich zu einer Sultans Hochzeit eingeladen. Das gesamte Dorf war versammelt. In Erwartung einer üppigen Mahlzeit hatte ich den gesamten Tag gefastet. Alle begannen zu essen, ich auch. Es war jedoch so gedacht, dass jeder nur einen einzigen Bissen zu sich nehmen sollte, symbolisch für die Fruchtbarkeit des Paares. Der Rest des Essens ging an die Armen. Das wusste ich nicht und aß einfach weiter. Bis ich merkte, dass mich hunderte von Augenpaaren anstarrten.

Mindestens ebenso peinlich war das Interview mit dem Maharadscha von Jodhpur in Indien. Dafür waren mir nur 15 Minuten gestattet. Gleich zu Beginn bekam ich einen solchen Hustenanfall, dass ich nicht mehr reden konnte. In wunderbarem Oxfordenglisch sagte mein Interviewpartner nur: ‚The bathroom is over there.’ Ich schoss quer durch die riesige Palasthalle, um mich im Bad zu erholen und mein Make-up zu richten. Danach waren die vereinbarten 15 Minuten schon um. Der Maharadscha ließ Gnade vor Recht ergehen und gewährte mir danach sogar eine Dreiviertelstunde für unser Gespräch.

 

Welche Eigenschaften sind nötig, um als Reisejournalistin erfolgreich zu sein?

Flexibilität, Spontaneität, eine gute Beobachtungsgabe, Kenntnisse in Fotografie, gut zuhören zu können und möglichst einige Fremdsprachen zu beherrschen. Sie sind der Schlüssel zur Kultur eines Landes und zu den Herzen der Menschen. Kann ich die Landessprache nicht, dann lerne ich stets die zehn wichtigsten landestypischen Ausdrücke der Höflichkeit.

 

Wen würdest du gern mal interviewen?

Den britischen Unternehmer Richard Branson. Ich liebe verrückte Exzentriker. Er ist mutig, hat Humor, surft auf dem Ärmelkanal, will ins All fliegen und setzt seine Milliarden für viele wohltätige Zwecke ein.

 

Was hast du auf einer Reportage immer dabei?

Den indischen Gott Ganesha als Talisman. Er hat einen Elefantenkopf mit geschwungenem Rüssel, großen Ohren und den dickbäuchigen Leib eines Menschen.

 

Was machen die jahrelangen Erfahrungen als Reisejournalistin persönlich mit dir?

Sie lehren mich Toleranz, über den Horizont hinaus zu blicken, andere Schwerpunkte zu setzen und zu erkennen, was wirklich wichtig ist im Leben.


Dagmar Gehm traf ich zum Interview im Café Funk-Eck an der Hamburger Rothenbaumchaussee. Die gebürtige Thüringerin lebt seit ihrem neunten Lebensjahr in Hamburg. Hier absolvierte sie eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin in Englisch, Französisch und Spanisch, ergänzt um Diplome in England, Belgien, Frankreich und Spanien. Nach Stationen als Verlagsübersetzerin, Korrespondentin auf Sri Lanka und Journalistin in verschiedenen Verlagen, verantwortete sie bei der Bildzeitung das Reiseressort samt Beilage ReiseBild. Seit einigen Jahren arbeitet Dagmar Gehm als freiberufliche Reisejournalistin für Zeitungen, Magazine und Nachrichtenagenturen. Gerade aktualisiert sie ihren Marco Polo-Reiseführer „Indien – der Süden“ – auch mit vielen Tipps für Frauen.

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Bianca Bödeker

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